Im Großen Heer betreiben wir „Histo-Larp“ und bemühen uns um die Darstellung von historischen Nordleuten - mit ihrer Kleidung, ihren Waffen und ihrem Verhalten. Wir versuchen dabei auch die gesellschaftlichen Strukturen und Moralvorstellungen darzustellen.
Bei dem historischen Vorbild handelt es sich um eine patriarchale Gesellschaft, also eine Gesellschaftsstruktur, die nur Männer in Machtpositionen anerkennt. Dies hat zur Folge, dass es unseren männlichen Mitspielern meist etwas leichter fällt, ein für sich passendes Konzept zu finden, während sich unsere weiblichen Mitspielerinnen teils eingeschränkt fühlen. Diese Balance zwischen der Orientierung an einer historischen Vorlage und dem Wunsch, jeder Person – egal welchen Geschlechts – eine freie Charaktergestaltung zu ermöglichen gilt es hier abzuwägen.
Zum historischen Kontext:
Im Allgemeinen war die Frau im frühmittelalterlichen Nordeuropa emanzipierter und unabhängiger als ihre Kolleginnen südlich des Meeres und auch als die christlichen Frauen im Hochmittelalter. Die Autorität der Frau lag eindeutig im häuslichen Bereich; dennoch konnte sie zu großem Ansehen gelangen. Während die Männer auf Viking zogen, hatte die Frau die Verfügungsgewalt über den Hof und das Gefolge. Die Wikingerfrau trug den Schlüssel zur Kasse und war für die Kasse verantwortlich. Sie war durch Gesetze geschützt. So durfte sie sich von ihrem Mann trennen, wenn sie mit ihm unzufrieden war oder aus anderen Gründen, und sich an das Thing wenden. Scheidung wurde erst mit der Christianisierung erschwert oder verboten. Verwitwete Frauen verwalteten den Besitz ihres verstorbenen Mannes und konnten vor dem Thing ihre Anliegen vorbringen. Auch unverheiratete Frauen konnten Besitz erben und vor dem Thing sprechen. Sollte eine Frau einen männlichen, anerkannten Nachkommen geboren haben, so konnte sie den Besitz ihres Mannes bis zur Volljährigkeit des Sohnes übernehmen und dem Vater bliebe nur Schwert und Pferd/Schiff.
Anmerkung zum Thing:
Aufgrund der Annahme, dass Frauen im Frühmittelalter größtenteils nicht vor dem Thing sprechen durften, gab es lange Zeit die Regel, dass Frauen vor dem Winterthing nicht sprechen durften. Diese Einschränkung wurde mittlerweile aufgehoben und es dürfen nun alle freien Frauen und Männer vor dem Thing sprechen und abstimmen. Lediglich Thraells/Unfreien ist das Rede- und Stimmrecht untersagt.
Frauenrollen: Im Folgenden findest Du Beispiele typischer und weniger typischer Frauenrollen, in die Spielerinnen schlüpfen können. Alles ist möglich!
Klassische Frauenrollen:
- Ehefrau, Magd oder Unfreie: Als Ehefrau oder Verwalterin begleitet man den Ehemann und führt den Haushalt in der Fremde. Auch unverheiratete Beziehungen waren vor der Christianisierung moralisch möglich, z.B. in Form der Kebse/Geliebten. Als Magd, Köchin oder Trossweib arbeitet man als Gefolge für eine/einen Bondi/Herrn/Herrin. Das Konzept einer Ambátt (weiblicher Thraell)/Sklavin/Unfreien ist für Einsteigerinnen eher schwierig und benötigt gute OT-Absprachen mit dem Herrn oder der Herrin.
- Læknir/Heilerin: Eine klassische Supportrolle ist die Rolle der Læknir/Heilerin, bei der man sich nach der Schlacht um die Verwundeten kümmert, Operationen durchführt oder Alltagswehwehchen behandelt.
- (Vermögende) Witwe: Sollte der Mann in der Fremde fallen, so fällt der Frau aller Besitz des Mannes zu. So ist ein mögliches Charakterkonzept das der sich selbständig machenden Witwe.
- Völva/Gydja/Götterkundige: Du könntest auch eine der Runenfrauen (Völva oder Gydja) sein, die die Zukunft lesen kann, Blots/Rituale durchführt und somit für göttlichen Beistand sorgt. Die Rolle der Gydja versteht den Götterwillen eher durch die Geschichten als durch eine intuitive Verbindung zu den Göttern wie eine Völva. Völven wirken Seidwerk/Magie, was für Frauen – im Gegensatz zu Männern – unproblematisch war. Es versteht sich von selbst, dass ein Völven/Gydja-Charakter sehr gute Kenntnisse der nordischen Sagenwelt und Runenkunde voraussetzt! Anfängerinnen wird empfohlen, sich OT einzulesen und dann IT bei einer erfahrenen Spielerin in die Lehre zu gehen, um so die nötigen Fähigkeiten im Spiel zu erlernen.
- Händlerin: Als Händlerin kann man als Frau ein eigenes Einkommen haben, was auch für reichere Charaktere passend ist.
- Skaldin: Geschichtenschreiberin und -erzählerin, Sängerin oder Musikerin.
Weniger typische Frauenrollen:
- Schildmaid/Kriegerin: Sie kleidet sich in Hosen und Tunika und sie gibt sich meist maskulin in ihrem Verhalten. Als Schildmaid kämpft man mit mindestens einer Waffe und oft einem Schild und man musssich meist militärischen Strukturen oder Befehlsstrukturen unterstellen. Einsteigerwaffen sind Axt und Ger/Speer; ein Schwert ist ein Statussymbol für höhergestellte Charaktere.
- Bondi/vermögende freie Frau mit Gefolge: Durch Erbe oder Kauf eines Hofs kann man eine Bondi/Hofbesitzerin spielen, die Gefolge hat (Mägde, Knechte, Gefolgsleute, Thraells/Unfreie).
- Anführerin: Eine Frau kann auch eine Sippe anführen. Als Anführerin kann man sowohl als Schildmaid auftreten und Krieger in der Schlacht befehligen als auch in klassischen weiblichen Rollen auftreten (außer Völva oder Gydja, die eher etwas außerhalb der Gesellschaft standen). Anführende Rollen tragen meist Verantwortung für das Gefolge und deren Verhalten und vertreten die Sippe in Sippenangelegenheiten. Man sollte bereit für Diplomatiespiel und politisches Spiel sein, zum Beispiel vor dem Thing oder vor Sippenversammlungen für die Sippe zu sprechen.
In unserer Spielerinnenschaft gibt es unterschiedliche Ansichten (Spielphilosophien). Die einen bespielen ein möglichst eindimensionales (klischeehaftes) Konzept und ziehen aus der damit einhergehenden Konsequenz ihren Spielspaß. Andere wählen Mischformen (Schildmaid, die ein Kleid zum Thing trägt oder eine klassische Frauenrolle, die in der Schlacht aushilft). Was nicht gerne gesehen wird – und auch unpraktisch ist –, sind Kleider (vor allem Thingkleider) in der Schlachtreihe. Wenn du aktiv kämpfen möchtest, lege dir bitte einen einfachen Satz Hosen und Tunika zu.
Wenn du nur im Falle der Lagerverteidigung zur Waffe greifen willst, brauchst du dagegen keine Männerkleidung, denn: Die Nordfrauen waren sicher nicht feige. Sicher werden Frauen bei einem Angriff auf ihr Dorf den Männern bei der Verteidigung geholfen haben. Leichte Waffen wie ein Ger/Speer, Sax oder Bogen sind Waffen, mit denen eine "untrainierte" Frau zurechtkommt. Wenn du gar nicht kämpfen möchtest, ist das auch völlig in Ordnung und natürlich kein Zeichen von Feigheit, denn ebenso wird es auch jene gegeben haben, die sich selbst, die Kinder sowie die Alten oder Verwundeten in Sicherheit brachten.
Männerrollen: Auch für Männer gibt es aufgrund der historischen Vorlage typischere und weniger typische Rollen. Auch hier gilt: Alles ist möglich!
Klassische Männerrollen:
- Knecht oder Unfreier: Als einfacher Angestellter oder Gefolge kann man bei einem/einer Bondi auf dem Hof arbeiten. Das Konzept eines Thraells/Sklaven/Unfreien ist für Einsteiger eher schwierig und benötigt gute OT-Absprachen mit dem Herrn oder der Herrin.
- Krieger: Als Krieger kämpft man mit mindestens einer Waffe und oft einem Schild. Einsteigerwaffen sind Axt und Ger/Speer; ein Schwert ist ein Statussymbol für höhergestellte Charaktere. Als Krieger muss man sich meist militärischen Strukturen oder Befehlsstrukturen unterstellen. Drengr sind Krieger ohne eigenen Besitz und Gefolge, die meist in Schiffsmannschaften organisiert sind. Sie sind oft zweite oder dritte Söhne und müssen sich als Söldner ihr Einkommen verdienen. Ein Hûskarl ist ein Berufskrieger ohne Besitz und Gefolge, der für einen Jarl/Sippenanführer arbeitet und von ihm ausgestattet wird.
- Bondi/vermögender freier Mann mit Gefolge: Durch Erbe oder Kauf eines Hofs kann man einen Bondi/Hofbesitzer spielen, der Gefolge hat (Mägde, Knechte, Gefolgsleute, Thraells/Unfreie).
- Jarl/Anführer: Anführende Rollen tragen meist Verantwortung für das Gefolge und deren Verhalten und vertreten die Sippe in Sippenangelegenheiten. Man sollte bereit für Diplomatiespiel und politisches Spiel sein, zum Beispiel vor dem Thing oder vor Sippenversammlungen für die Sippe zu sprechen.
- Händler: Händler haben über ihren Handel ein eigenes Einkommen.
Weniger typische Männerrollen:
- Læknir: Auch als Mann kann man einen Læknir/Heiler darstellen. Während einer Schlacht ist es oft sinnvoll, sich im Kampf eher zurückzuhalten, damit man nach der Schlacht die Verwundeten versorgen kann.
- Godi/Götterkundiger: Männer können keine Völva spielen, da diese Rolle klar mit Weiblichkeit verknüpft ist. Ein Godi ist ein Götterkundiger, der – ähnlich wie die Gydja – sein Götterwissen über Göttergeschichten erlangt. Als Mann war es verpönt, Seiðr/Seidwerk und die meisten anderen Formen von Magie zu wirken. Ein Godi kann Blots/Rituale durchführen und somit für göttlichen Beistand sorgen. Im Gegensatz zu einer Gydja oder Völva steht ein Godi nicht außerhalb der Gesellschaft und kann sehr einflussreich sein. Es versteht sich von selbst, dass ein Godi-Charakter sehr gute Kenntnisse der nordischen Sagenwelt und Runenkunde voraussetzt! Anfängern wird empfohlen, sich OT einzulesen und dann IT bei einem erfahrenen Spieler in die Lehre zu gehen, um so die nötigen Fähigkeiten im Spiel zu erlernen.
- Skalde: Geschichtenschreiber und -erzähler, Sänger oder Musiker.
Cross Gender Play:
In vielen LARP-Settings ist es mittlerweile normal, einen Charakter zu spielen, der IT ein anderes Geschlecht darstellt als das Geschlecht der Person im OT. Im Histo-LARP in Deutschland ist dies allerdings noch nicht so verbreitet. Solltest du mit einem Cross Gender-Charakterkonzept auf Probleme stoßen, sprich dies bitte bei der SL an oder kläre es OT ab, da es für manche Spieler:innen vielleicht noch ungewohnt ist.
LARP als Transperson
Auch transgender Spieler:innen soll es natürlich möglich sein, eine Rolle mit der Geschlechtsidentität zu spielen, mit der sie sich wohl fühlen. Auch hier gilt: Solltest du auf Schwierigkeiten stoßen, sprich diese bitte OT an und/oder wende dich an die SL.
Abschließend lässt sich sagen: Alle Konzepte haben Vor- und Nachteile. Sich bewusst auch für Nachteile zu entscheiden, also etwas NICHT zu können, verleiht euren Charakteren deutlich mehr Tiefe und schöne Ansätze für Rollenspiel (play to struggle, play to lose).
Allen Spieler:innen wünschen wir Mut zu eigenen, aber zum Grundkonzept des Großen Heeres passenden Wegen! Denkt einfach an das DKWDDK Prinzip und fragt im Zweifel erfahrene Spieler:innen des Heeres (z.B. im Forum).
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